Buchkritik: Psychologie für den Media-Alltag

Dirk Engel liest: „The Choice Factory“ von Richard Shotton

Vielleicht haben Sie das ja auch schon mal erlebt: Man hört, sieht oder liest irgendwo eine interessante wissenschaftliche Erkenntnis aus Psychologie, Gehirnforschung oder Verhaltenswissenschaft. Vielleicht geht es um einen überraschenden Effekt, einen psychischen Mechanismus oder die Art und Weise, wie unser Gehirn Informationen verarbeitet oder Urteile trifft. Die Quellen können unterschiedlich sein: ein Wissensmagazin im Fernsehen, eine Info-Sendung im Radio, ein kurzer Blogbeitrag oder vielleicht sogar eine Quizsendung. Was machen wir mit solchen Einsichten? Oft viel zu wenig. Wir konsumieren sie als eine Art gehobene Unterhaltung. Sie werden dann in den geistigen Schubladen „Nice to know“, „Futter für Smalltalk“ oder gar „unnützes Wissen“ abgespeichert. Das ist schade, denn Marketing ist angewandte Psychologie, demzufolge ist Psychologie meist relevant für das Marketing. Wie man die Geistesblitze und Effekte der Verhaltens- und Wirtschaftswissenschaften für Marketing- oder Media-Entscheidungen konstruktiv nutzen kann, zeigt das Buch „The Choice Factory“ vom britischen Marketing-Experten Richard Shotton. In 25 kurzen Kapiteln wird jeweils eine Erkenntnis aus der Sozialpsychologie vorgestellt. Neben der Erläuterung der Grundidee werden einige Studien knapp referiert und schließlich leitet der Autor konkrete Anwendungsbeispiele für die Werbe- und Mediaplanung ab.

Menschen neigen etwa zur Selbstüberschätzung. Knappheit oder ein hoher Preis kann ein Produkt besonders begehrenswert machen. Unsere Erwartungen beeinflussen die Leistungen eines Produktes. Gewohnheiten und Stimmungen spielen bei unseren Einkäufen eine Rolle. Und der Kaufpreis verursacht uns Schmerzen. Das sind nur einige der Effekte, denen Shotton Kapitel in seinem Buch widmet. Sie mögen einigen Lesern bekannt sein – mittlerweile gibt es ja eine ganze Reihe von populären Fachbüchern, die sich mit Verzerrungen, Heuristiken und Denkfehlern beschäftigen. Die gedankliche Tiefe solcher Autoren findet man bei Shotton nicht. Er ist ein grandioser Vereinfacher, der nur selten die berichteten Befunde kritisch hinterfragt. Dagegen ist nichts einzuwenden, denn diese Darstellungsform kommt den unter Zeitnot leidenden Managern vermutlich sehr entgegen.

Shotton betont immer gerne die Wissenschaftlichkeit seiner Tipps, denn sie basieren in erster Linie auf Grundlagenforschung aus den Bereichen experimentelle Ökonomie und Sozialpsychologie. Ergänzt werden die Referate aus der Wissenschaft mit den Resultaten von Shottons eigenen Studien – zentrale Bestandteile dieser sind meist kleine Experimente. Über die gibt er nur wenige Informationen preis, was ein bisschen dem Anspruch von Wissenschaftlichkeit widerspricht, den der Autor ansonsten aufrechterhalten möchte.

Der Autor versucht, die Essenz der jeweiligen Studien und Modelle zu erfassen, und bietet gleichzeitig sehr einfache, pragmatische Tipps zur praktischen Umsetzung. Dabei denkt er manchmal etwas zu einfach, als ob ihm die Fantasie für einen smarteren Insights-Transfer fehlen würde. Aber die Aufgabe eines guten Management-Buches liegt nicht darin, fertige Instant-Maßnahmen zu liefern, sondern Anregungen zum Nachdenken zu geben. Das Werk füttert deshalb unsere eigene „Choice Factory“ (womit unser meist unbewusst arbeitendes Gehirn gemeint ist), damit wir bessere Strategien, Kampagnen und Pläne entwickeln können.

Dirk Engel