Buchkritik: Denken statt Daten

Dirk Engel liest: „Klick“ von Gerd Gigerenzer

Kritiker und Apologeten der Digitalisierung sind sich in einer Sache einig: Sie beschwören die Macht der Algorithmen. Während die einen sie preisen, um damit Geld zu verdienen, verdammen die anderen sie und sehen nur Manipulation und Gefahren. Für beide Haltungen gibt es unzählige Bücher, die unabhängig von ihrer positiven oder negativen Tendenz die digitalen Mythen fördern. Der Sozialpsychologie Gerd Gigerenzer hat ein Buch geschrieben, in dem er diese Mythen entzaubert. „Klick – Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten und die richtigen Entscheidungen treffen“ – so lautet der umständliche Titel der deutschen Ausgabe. Wie so oft ist der englische Original-Titel wesentlich eleganter und zutreffender: „How to remain smart in a smart world“.

Es geht darin um den gesunden Menschenverstand, klares Denken und effiziente Entscheidungen. Das sind genau die Forschungsthemen von Gigerenzer: Er untersucht Heuristiken – also einfache bewusste oder unbewusste Regeln, die uns helfen, Entscheidungen schnell und gut zu treffen. Zu Heuristiken gibt es mittlerweile ein umfangreiches populärwissenschaftlichen Schrifttum; oft werden diese als Verzerrung oder Denkfehler dargestellt. Aber Heuristiken können uns schlauer machen. Algorithmen, so Gigerenzer, sind auch nur Heuristiken.

Der digitale Mythos besagt, je mehr Daten verarbeitet, je mehr Variablen analysiert werden, desto besser ist am Ende das Ergebnis. Gigerenzer argumentiert dagegen: Intransparenz, Überkomplexität und blindes Vertrauen in Big Data machen KI-Anwendungen nicht zu Supergehirnen. Daten können Denken nicht ersetzen. Der Autor zeigt die Fallstricke der KI an vielen Beispielen auf: Online-Dating, autonomes Fahren, Grippe-Prognosen, Online-Werbung. All das funktioniert weniger gut, als viele behaupten oder befürchten. KI habe ihre Stärke in stabilen Situationen mit festen Regeln – die unsichere gesellschaftliche Wirklichkeit gehöre nicht dazu.

Was Gerd Gigerenzer hingegen propagiert, sind einfache, klare Denkwerkzeuge: Experimente, statistisches Denken, Quellenkritik. Seiner Meinung nach ist Künstliche Intelligenz dem menschlichen Verstand alles andere als überlegen. Vernunft lasse sich eben nicht durch Rechenkapazität ersetzen. Sein Buch ist keine rein wissenschaftliche Abhandlung, obwohl die meisten Thesen mit Forschungsergebnissen belegt werden. Ein bisschen ist das Werk allerdings eine Streitschrift, die viele heikle Punkte anspricht und auch klar Stellung bezieht. Was es so lesenswert macht, ist der relativ unaufgeregte Tonfall, mit dem Gigerenzer digitale Mythen gegen den Strich bürstet. Ein Plädoyer für klares Denken und ein Gegengift gegen den Glauben an die digitale Allmacht.

Dirk Engel