Heft 12

Marie-Luise Kiefer

20 Jahre privater Rundfunk

Versuch einer Bestandsaufnahme aus medienökonomischer Perspektive

In den vergangenen 20 Jahren unterlag das Mediensystem massiven Umwälzungen, die bis heute anhalten. Zu erklären sind sie allein im Kontext von Veränderungen des gesellschaftlichen Produktionssystems und der gesellschaftlichen Normen und Leitwerte seit den 1970/80er Jahren. Die Zulassung und Entwicklung privaten Rundfunks und der Wandel des Mediensystems insgesamt in Deutschland und anderswo müssen als Teil der Herausbildung des postfordistischen Kapitalismus begriffen werden. Stichworte für diese Veränderungen im Medienbereich sind neue Informations- und Kommunikationstechniken, Deregulierung und Globalisierung. Der Wohlfahrtsstaat, geprägt auch durch die Theorien von John Maynard Keynes, geriet damit ebenfalls in eine Krise; er wird zunehmend ersetzt durch einen Wettbewerbsstaat, der sich vor allem an der internationalen Standortkonkurrenz orientiert.

Für die Medien bedeutete dieser Wandel vor allem eine Ökonomisierung und eine wachsende Dominanz des Regimes der Wirtschaft über das der Publizistik (Medien als Wirtschafts- und Kulturgüter). Die privaten Rundfunksender sind eingespannt in eine zunehmend komplexe Verwertungsstrategie großer, international operierender Konzerne. Formatisierung des Programms und crossmediale Vermarktung sind Elemente dieses Geschäftsmodells.

Wer zählt 20 Jahre nach dem Startschuss für privaten Rundfunk in Deutschland zu den Gewinnern des dualen Systems? Nach Ansicht der Autorin sind es die Werbewirtschaft sowie die Film- und Fernsehproduktionswirtschaft, nicht jedoch die Sender, nicht die Zuschauer und nicht die Politik, wenn auch politische Wünsche nach einem regierungs-, sprich damals: unionsgeneigten Rundfunk für die Zulassung privaten Rundfunks eine große Rolle spielten. Die Politik unterschätzte die Dynamik der einmal entfesselten Marktkräfte im Zusammenspiel mit neuen Techniken, mit dem Resultat, dass sich der private Sektor zunehmend weniger steuern lässt - gleichzeitig aber auch eine weitgehende Entpolitisierung des Programms erfährt. Um die gesellschaftliche Funktion und die Gemeinwohlorientierung des Rundfunks intakt zu halten, ist daher eine Stärkung der zweiten Säule des so genannten dualen Systems, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, erforderlich. Im Gegensatz zu den USA sind immerhin in Deutschland und Europa hierfür die Strukturen weiterhin vorhanden.

MP 12/2004, S. 558-568



Zurück zur Übersicht