Heft 7

Runar Woldt

Interaktives Fernsehen - großes Potenzial, unklare Perspektiven

Internationale Erfahrungen mit dem 'Fernsehen der Zukunft'

Das interaktive Fernsehen (iTV) hat sich mittlerweile in einigen Ländern etabliert, nachdem es bereits mehrere euphorische Phasen, aber auch tiefe Krisen erlebt hat. Die Definition von iTV ist relativ ungenau, hängt nicht zuletzt von Veränderungen in der Fernsehindustrie und den Vermarktungsinteressen der Veranstalter ab. Legte man wissenschaftliche Kriterien zu Grunde, wäre eine Vielzahl heutiger iTV-Anwendungen allenfalls am Rande als interaktiv zu bezeichnen. In der Fernsehindustrie selbst haben sich vor allem zwei Kategorien herausgebildet: das Enhanced TV als Sammelbegriff für alle interaktiven Anwendungen, die eng verknüpft sind mit bestimmten konventionellen Fernsehsendungen, sowie so genannte Standalone-Anwendungen, die als eigenständige Angebote auf digitalen Plattformen erscheinen.

Erste Marktversuche mit iTV wurden in den USA in den 1970er (z.B. Qube in Columbus, Ohio) und später wieder in den 1990er Jahren (TimeWarner in Orlando, Florida) durchgeführt, mit eher ernüchternden Resultaten aus ökonomischer Perspektive. Mit dem Aufkommen des Internets, der Digitalisierung und den Verheißungen der technischen Konvergenz erhielt das iTV noch einmal Aufwind, um mit dem Zusammenbrechen des dotcom-Booms erneut aus den Schlagzeilen zu verschwinden.

Mit der Jahrtausendwende machte iTV vor allem in Europa Fortschritte, an erster Stelle in Großbritannien. Die öffentlich-rechtliche BBC hat inzwischen eine Reputation gewonnen für ihr breites Angebot an interaktiven Inhalten. Einzelne besonders kreative und innovative iTV-Projekte der BBC haben Vorbildcharakter für die Branche bekommen. Auf der anderen Seite bietet die kommerzielle Pay-TV-Plattform Sky eine Vielzahl interaktiver Anwendungen an, die weniger ambitioniert, dafür aber konsequent auf Generierung zusätzlichen Umsatzes ausgerichtet sind. Insgesamt ist die britische iTV-Branche ohne Zweifel führend in der Welt. Es zeigen sich aber bereits auch einige Ermüdungserscheinungen bei den Zuschauern. In der Branche werden kreative Stagnation und teilweise unklare wirtschaftliche Perspektiven beklagt.

In Deutschland steckt das iTV-Angebot, wie insgesamt das digitale Fernsehen, noch in den Anfängen. ARD und ZDF entwickelten bereits relativ früh im Rahmen ihrer digitalen Projekte auch interaktive Anwendungen, die ARD richtete 2001 das erste interaktive Portal in Deutschland ein. Bei privaten Veranstaltern werden vereinzelt iTV-Anwendungen in das digitale Programm aufgenommen. Der Durchbruch des iTV steht in Deutschland allerdings noch bevor. Dies könnte sich beschleunigen, würde der Multimediastandard MHP größere Unterstützung erfahren als bisher.

MP 7/2004, S. 301-309



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