Heft 10

Marcus Haas

Kostenlose Pendlerzeitungen in Europa

Anbieter, Angebote, Strategien

In vielen Ländern Europas haben sich kostenlose Pendlerzeitungen etabliert, die auch free sheets, free daily newspapers oder free daily commuter newspapers genannt und in großen Städten und Ballungsräumen angeboten werden. Erhältlich sind sie vor allem in öffentlichen Verkehrsmitteln, an Bahnhöfen, Haltestellen oder öffentlichen Plätzen; teilweise werden sie auch in öffentlichen Gebäuden, an Tankstellen oder in Geschäften bereitgehalten. Die erste kostenlose Pendlerzeitung mit dem Titel Metro erschien 1995 in Stockholm. In Deutschland ist es bisher noch nicht gelungen, ein solches Produkt zu etablieren, nachdem die Ende 1999 in Köln lancierte Gratiszeitung 20 Minuten auf entschiedenen Widerstand der etablierten Zeitungsverlage stieß (u.a. eigene Gratis-Abwehrblätter) und Mitte 2001 wieder eingestellt wurde.

Die größten Anbieter von Gratiszeitungen sind die Unternehmen Metro International, das zum schwedischen Kinnevik-Konzern zählt, sowie die 20 Minuten Holding AG des norwegischen Schibstedt-Konzerns. Beide sind international ausgerichtet und lancieren ihre Blätter in vielen Ländern. Derzeit gibt es 70 Metro-Ausgaben in 21 Ländern - auch außerhalb Europas - mit einer Gesamtauflage von gut fünf Millionen Exemplaren. Kennzeichnend ist ein standardisiertes Konzept, das die Akquisition internationaler Anzeigenkampagnen erleichtert und den jeweiligen Bedingungen nur leicht angepasst wird sowie eine rigide Kostenkontrolle auch im redaktionellen Bereich. Das Konzept der kostenlosen Pendlerzeitungen von Schibstedt ist im Vergleich zu Metro durch ein stärkeres Eingehen auf lokale Gegebenheiten gekennzeichnet. Schibstedt ist mit Gratisblättern in der Schweiz, Spanien und Frankreich vertreten.

Mittlerweile wurden noch weitere Konzerne, Verlagshäuser und Akteure mit dem neuen Geschäftsmodell aktiv, unter anderem auch etablierte Zeitungsverlage. Die Gesamtauflage kostenloser Pendlerzeitungen in Europa betrug im September 2006 rund 19 Millionen Exemplare.

Im Kontext mit den Gratiszeitungen werden immer wieder zwei konträre Hypothesen genannt. Zum einen: Kostenlose Pendlerzeitungen bedrohen die Existenz etablierter Verlage, zum anderen die These, dass der neue Zeitungstyp neue Leserschaften erschließt. Am Beispiel der Schweiz findet der Autor keine Belege für eine Gefährdung bezahlter Zeitungen durch Gratisangebote, wohl aber Hinweise auf die Gewinnung neuer, vom Medium Zeitung bisher nicht oder nicht mehr erreichter Leser, vor allem unter den Jüngeren. Von den Gratiszeitungen gehe ein positiver Innovationsdruck aus, der die etablierte Tagespresse zwinge, sich mit den Bedürfnissen ihrer Leser stärker auseinanderzusetzen.

MP 10/2006, S. 510-520



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