Heft 10

Hans-Jürgen Bucher/Peter Schumacher

Tabloid versus Broadsheet: Wie Zeitungsformate gelesen werden

Eine vergleichende Rezeptionsstudie zur Leser-Blatt-Interaktion

Seit einiger Zeit ist in vielen Ländern eine Tendenz zu kleineren Zeitungsformaten zu beobachten. Die Debatte um die Formatverkleinerungen von Tageszeitungen ist teilweise ideologisch aufgeladen, weil das Broadsheetformat insbesondere für überregionale anspruchsvolle Zeitungen als Qualitätsindikator per se gilt. Kleinere Formate wie das Tabloid werden publizistisch oft mit unterhaltungs- und sensationsorientierten Formen des Zeitungsjournalismus gleichgesetzt. Ob auch Tabloid- bzw. Kompaktzeitungen zur intensiven Zeitungslektüre anregen und umfassende Informationen vermitteln können, war eine der Forschungsfragen der Studie. Dazu wurden mit Welt und Welt kompakt das Broadsheet- und das Tabloidformat einer vergleichenden Rezeptionsanalyse unterzogen. Weitere Forschungsfragen zielten darauf ab, die Komplexität des Lektüreprozesses insgesamt genauer zu untersuchen.

In der qualitativen Rezeptionsstudie mit insgesamt 42 Versuchspersonen wurde mit einem Mehr-Methoden-Ansatz aus Blickaufzeichnung, Lautem Denken, Interviews, Fragebogen und einer strukturellen Inhaltsanalyse der Lektüreprozess der - teilweise inhaltsgleichen - Welt- und Welt-kompakt-Ausgaben vom 15.9. 2006 experimentell erhoben und ausgewertet. Es zeigte sich, dass die Befragten mehrheitlich das Kompaktformat bevorzugen würden. Leser folgen bei der Zeitungslektüre offenbar einem Ökonomieprinzip, das heißt, sie setzen geschätzten Aufwand und erwarteten Ertrag in Relation. Hier haben Verweistexte und Inhaltsübersichten eine wichtige Orientierungsfunktion.

Insgesamt erwies sich das Zeitungsformat nicht als entscheidend für die Lesetiefe: So wurden beispielsweise Doppelseiten mit gleicher Thematik im Tabloidformat stärker beachtet als beim Broadsheet. Weitere Befunde der Studie machen aber deutlich, dass verschiedene Zeitungsformate Leser unterschiedlich ansprechen. So begünstigt das Kompaktformat eine übersichtsorientierte Leseweise, das Großformat fördert stärker die Intensivlektüre einzelner Beiträge. Jedoch belegt die Tatsache, dass in beiden Formaten unterschiedliche Nutzungsmuster für die Titelseiten und die Inhaltsseiten festgestellt wurden, den interaktiven Charakter der Zeitungslektüre. Die Zeitungsformate bilden nur einen Rahmen mit unterschiedlichen Potenzialen, den es journalistisch zu nutzen gilt.

MP 10/2007, S. 514-528



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