Heft 2

Bernhard Engel

Überlegungen zur Zukunft der Fernsehforschung

Von der Messung des Zuschauerverhaltens zum Investitionscontrolling für das Medium Fernsehen

Die telemetrische Messung der Fernsehnutzung zählt seit mehr als 20 Jahren zu den präzisesten Reichweitenerhebungen im intermedialen Vergleich. Durch die Entwicklung von Technologien und Märkten unterliegt das Fernsehen jedoch starken Veränderungen: die Vervielfachung der Verbreitungskanäle, neue Nutzungskontexte, Erweiterungen des Mediums durch Such- und Navigationsmöglichkeiten und nicht-lineares Fernsehen zählen dazu. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, das System der telemetrischen Zuschauerforschung zukunftssicher zu machen.

Die künftigen Anforderungen ergeben sich insbesondere durch folgende Probleme: Die Leistung des Mediums wird infolge der technologischen Entwicklung nur unvollständig oder mit einem Time-Lag erfasst (Coverage-Problem). Zudem ist durch die Vervielfachung von Kanälen die Reichweitenerhebung bei den gegebenen Stichprobengrößen für einen zunehmenden Teil des Marktes mit statistischen Schwankungsbreiten versehen, wodurch die Daten nicht allen Anforderungen gerecht werden (Fragmentierungsproblem). Crossmediale Effekte bzw. die Konvergenz der Medien schränken die Aussagekraft von Reichweiten ein, gleiche Reichweiten haben in unterschiedlichen crossmedialen Kontexten unterschiedliche Medienwirkung (Crossmedia- bzw. Siloproblem). Ferner schränken konkurrierende mediale und nichtmediale (Stör-)Einflüsse die Aussagekraft von Reichweiten insofern ein, als gleiche Reichweiten bei unterschiedlichen medialen oder nichtmedialen (Stör-)Einflüssen unterschiedliche Medienwirkung haben (Engagement-Problem). Schließlich sind die aktuellen Reichweitenerhebungen auf die Nachfrageseite (also auf das Nutzungsverhalten der Zuschauer) hin orientiert und erlauben keine differenzierte Steuerung der Angebote bezüglich neuer Technologien (Investitionscontrolling-Problem).

Lösungen dieser Probleme werden international diskutiert. Deutlich wird, dass alle Optionen Zielkonflikte beinhalten. Stärker als heute wird es nötig sein, Kosten und Nutzen differenziert abzuwägen und über Priorisierungen und Aufgabenverteilungen nachzudenken. Langfristig sollte die Fernsehforschung so fortentwickelt werden, dass sie auch für neue Märkte und Geschäftsmodelle relevant bleibt. Die differenzierte Erfassung des Nutzerverhaltens wird auch langfristig die Kernaufgabe bleiben, wobei die Steuerung des Angebots als Voraussetzung für die Nutzung eine größere Rolle spielen wird.

MP 2/2008, S. 84-90



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