Heft 11

Marlene Wöste

Öffentlich-rechtliches Fernsehen: Für Jugendliche nicht jung genug?

Nutzungsverhalten und Präferenzen junger Leute beim Fernsehen

Junge Menschen präferieren private Fernsehsender. Ausgehend von diesem Befund werden in dem Beitrag Antworten auf die Frage gesucht, ob die Schwierigkeiten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens mit den jungen Nutzergruppen eine Frage der Inhalte oder vielmehr ein Problem des programmlichen Umfelds und des Images sind. Dabei werden auch aktuelle Erkenntnisse der Jugendforschung zur Befindlichkeit der heutigen Jugendgeneration herangezogen. Danach erlebt sich die Jugend der 90er Jahre als Generation, die Versäumnisse der Älteren, die ihnen Startchancen verbaut haben, ausbaden muß. Die Folge ist eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Politik und gesellschaftlichen Institutionen. Arbeitslosigkeit und ihre Zukunftsperspektiven betrachten heutige Jugendliche als ihre vorrangigen Probleme. Auf der anderen Seite zeigen die Jugendlichen eine starke Präferenz an spaßorientierten Lebensstilen -- als "Gegenwelt" zu ihren unzureichenden Perspektiven.

Auch beim Fernsehen, so das Ergebnis verschiedener Erhebungen, suchen Jugendliche in erster Linie Unterhaltung und Ablenkung. Ihre präferierten Genres sind (actionbetonte) Spielfilme und Serien. Die privaten Sender haben in diesem Segment ein größeres Angebot, aber das Unterhaltungsangebot der öffentlich-rechtlichen Sender ist nicht so minimal, daß dadurch allein die Bevorzugung privaten Fernsehens hinreichend erklärt wäre. Eine Rolle spielt möglicherweise die Profilierung von ARD und ZDF als Informationssender. Jugendliche weisen den Öffentlich-rechtlichen zwar eine höhere Glaubwürdigkeit und Informationskompetenz als den Privatsendern zu, die sie aber dennoch auch bei der Informationsnutzung bevorzugen. Die bei ARD und ZDF vorherrschende sachlich-nüchterne Vermittlung von Informationen über die Aktivitäten des politischen und gesellschaftlichen Systems stellt angesichts der Institutionenskepsis der Jugend möglicherweise eher ein Einschalthemmnis dar.

Für Jugendliche spielen Präsentationsformen und Senderimage eine große Rolle. Die Privatsender haben ein höheres Tempo, sie bieten im Unterhaltungsbereich mehr Spannungsgenres an und weisen, vor allem in Talkshows, durch teilweise emotionalisierende Präsentationsformen ein großes Reizpotential auf. Dies alles läßt die Sender jung oder zumindest aufregend erscheinen.

Die öffentlich-rechtlichen Sender werden in ihrer Gesamtanmutung dagegen als nicht flott genug empfunden. Sie haben dennoch immer wieder Versuche unternommen, Jugendliche in ihren Hauptprogrammen mit spezifischen Angeboten zu erreichen. Diese konnten im Umfeld der Vollprogramme mit ihren verschiedenartigen Angeboten für unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse jedoch weder von einem Audience flow profitieren noch einen solchen generieren, sondern sie wurden schlicht von der Zielgruppe nicht wahrgenommen. Das Phänomen ist aus dem Hörfunk bekannt. Öffentlich-rechtliches Radio konnte junge Hörer zurückgewinnen, als es auf die Nutzungsgewohnheiten junger Menschen einging und zielgruppenspezifische Jugendwellen mit öffentlich-rechtlichem Profil machte.

MP 11/1999, S. 583-590



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