Heft 3

Jochen Zimmer

Interaktives Fernsehen - Durchbruch via Internet ?

Entwicklungsstand und Perspektiven interaktiver Fernsehanwendungen in Deutschland

Nachdem die Versuche zur Realisierung interaktiven Fernsehens in den 90er Jahren scheiterten, haben sich interaktive Anwendungen in den letzten Jahren über das Internet und auf der Plattform Computer auf breiter Ebene durchgesetzt. Durch den Erfolg und die enorme Entwicklungsdynamik von Onlinemedien sowie die technische Annäherung zwischen Computer und Fernsehen stehe nun - so die Hoffnungen der Medienbranche - auch der Durchbruch für interaktives Fernsehen bevor.

Wie ist es aber tatsächlich um die technischen Voraussetzungen für interaktives Fernsehen in Deutschland bestellt? Als breitbandige und rückkanalfähige Übertragungswege bieten sich dabei vom technischen Potential gleich mehrere Alternativen an - Telefonkabel (ADSL), Breitbandkabel, Satellit, Richtfunk oder Stromkabel (Powerline). Allerdings steht keines dieser Verfahren bisher in Deutschland auf breiter Ebene bzw. in ausgereifter Form zur Verfügung, lediglich ADSL wird mit reduzierter Bandbreite seit Anfang 2000 in einigen Städten angeboten, und einige Breitband-kabelnetze von Telekom-Konkurrenten sind auf die notwendige Bandbreite von 862 Mhz aufgerüstet. Ein rascher Durchbruch breitbandiger Onlineanschlüsse ist deshalb nicht zu erwarten.

Über Set-Top-Boxen ist bereits heute der Zugriff auf das Internet vom Fernsehgerät aus möglich. Wegen unterschiedlicher Bilddarstellungstechniken und unterschiedlicher Nutzungs-
situationen zwischen PC und TV ist die Übertragung von Internetseiten auf dem Fernsehbildschirm in der Praxis allerdings mit starken Einschränkungen verbunden, so dass die Internetboxen bislang im Markt auf nur marginale Resonanz stoßen. Ein einheitlicher technischer Standard für die direkte Integration von interaktiven Anwendungen in die digitalen Fernsehsignale konnte sich bislang nicht durchsetzen. Zwar wurden Anfang 2000 die Spezifika für die so genannte Multimedia Home Platform (MHP) auf europäischer Ebene verabschiedet, dennoch ist der schnelle Durchbruch dieses Standards wegen unterschiedlicher Interessen der Marktteilnehmer keineswegs gewährleistet.

Auf Seiten der Fernsehsender wird die Entwicklung interaktiver Fernsehanwendungen wegen der unklaren Standardfrage und aus Kostengründen nur mit begrenzten Investitionen und in Pilotprojekten vorangetrieben. Der Schwerpunkt richtet sich derzeit hauptsächlich auf die Entwicklung komplementärer Angebote im Fernsehen und im Internet, und die Fernsehsender können dabei ihre Breitenwirkung für eine gezielte Kanalisierung der Aufmerksamkeit auf die eigenen Onlineangebote ausnutzen. Vor allem bei Jugendlichen scheint die parallele Nutzung von Fernsehen und Online bereits relativ weit verbreitet. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass die "passive" Fernsehnutzung im Medienalltag nach wie vor eine deutlich wichtigere Rolle als "interaktive" Onlinemedien spielen, und an dieser Relation dürfte sich - verschiedenen Entwicklungsszenarien zufolge - auch in absehbarer Zeit wenig ändern.

MP 3/2000, S. 110-126



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