Heft 7

Christoph Neuberger

Journalismus im Internet: Auf dem Weg zur Eigenständigkeit?

Ergebnisse einer Redaktionsbefragung bei Presse, Rundfunk und Nur-Onlineanbietern

Seit etwa einem halben Jahrzehnt engagieren sich die deutschen Massenmedien Presse und Rundfunk auch im Internet und offerieren dort online aktuelle Informationen. Hat sich in dieser Zeit ein eigenständiger Onlinejournalismus herausgebildet? Und in welchem Maße haben sich die Onlineangebote und -redaktionen von ihren Muttermedien abgenabelt? Anhaltspunkte für die Situation des Journalismus im Internet liefern Ergebnisse einer Befragung unter Onlineredaktionsleitern bzw. redaktionell Verantwortlichen für den Internetauftritt von Presse, Rundfunk und Nur-Onlineanbietern. In die Untersuchung einbezogen wurden Tageszeitungen, überregionale Wochen- und Sonntagszeitungen, themenspezifische tägliche Periodika, General-Interest-Publikums- zeitschriften sowie mindestens landesweite Rundfunkanbieter.

Häufigste Internetstrategie der etablierten Medien ist es der Befragung zufolge, mit dem Onlineauftritt das Kerngeschäft zu schützen oder zu stärken. Während Tageszeitungen und Rundfunk vorrangig Doppelnutzer erreichen und die Publikumsbindung stärken wollen, nehmen Publikumszeitschriften eher Probenutzer ins Visier. Alle drei Medientypen wollen auch junge Nutzer über das Internet an ihr Medium heranführen.

Deutlich wird aus diesen Motiven eine enge Verknüpfung von Onlineangebot und Muttermedium, die sich auch in den Inhalten widerspiegelt. So ist bei den Printmedien bei mehr als der Hälfte der Onlineartikel das Muttermedium die Quelle, bei Hörfunk und Fernsehen in gut 40 Prozent der Fälle. Eigens produzierte Beiträge gibt es in den Onlineausgaben der Tageszeitungen mit knapp 8 Prozent am wenigsten, mit 46 Prozent bei den Nur-Onlineredaktionen am häufigsten. Nach wie vor wird ein großer Teil der Beiträge ohne Überarbeitung oder Änderungen online übernommen. Das technische Potenzial des Internets wie auch seine Aktualisierungsmöglichkeiten schöpfen die Medien unterschiedlich stark aus.

Zeitungen und Zeitschriften haben die wenigsten Mitarbeiter für ihre Onlineangebote, und diese sind überdies häufig mit nichtjournalistischen Aufgaben betraut. Generell werden Onlinejournalisten teilweise auch für berufsfremde Aufgaben eingesetzt, zum Beispiel für Serviceleistungen oder bei der inhaltlichen Gestaltung von Werbung, Anzeigen und E-Commerce. Rollenkonflikte scheinen daher unausweichlich.

Inwieweit erkennen Onlinejournalisten berufliche Normen an? Nach Einschätzung der befragten Redaktionsleiter scheint allgemein akzeptiert, dass die Sorgfaltspflicht den besonderen Bedingungen des Internets angepasst werden muss. Am wenigsten Anerkennung finden die Regeln, die auf eine deutliche Abgrenzung von Redaktionellem und Kommerziellem abzielen, beispielsweise die Gestaltung von Webseiten im Kundenauftrag oder die Verbindung von Verbrauchertipps mit passenden Verkaufsangeboten - Abgrenzungen, die für die Glaubwürdigkeit des Journalismus im Internet künftig eine große Rolle spielen dürften.

MP 7/2000, S. 310-318



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