Heft 6

Frank Brettschneider

Kanzlerkandidaten im Fernsehen

Häufigkeit - Tendenz - Schwerpunkte

Mit dem Termin der Bundestagswahl am 22. September rücken die Spitzenkandidaten von SPD und CDU/CSU in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Gleichzeitig versuchen die Wahlkampfmanager, die Kandidaten in ein günstiges Licht zu rücken und gegen Ende des Wahlkampfes auf die Kanzlerfrage zuzuspitzen. Dabei ist das Fernsehen zur wichtigsten Informationsquelle über die Spitzenkandidaten geworden, wobei allerdings nach vorliegenden Forschungsergebnissen die privat-kommerziellen Sender im Vergleich zu den öffentlich-rechtlichen nicht nur seltener über Politik berichten, sondern auch knapper, einfacher und einseitig negativer als ARD und ZDF.

Im Zentrum der vorliegenden Studie steht die Berichterstattung der Fernsehnachrichten in ARD, ZDF, RTL, SAT.1 und ProSieben über Gerhard Schröder, Edmund Stoiber und Angela Merkel vor der Bundestagswahl 2002, wie sie vom Inhaltsanalyse-Institut Medien Tenor zwischen Januar 2000 und Februar 2002 untersucht wurden. Demnach finden drei Viertel der Berichterstattung über die Spitzenkandidaten von SPD und Union bei ARD und ZDF statt, nur ein Viertel bei den Privatsendern. Gerhard Schröder genießt gegenüber Edmund Stoiber und Angela Merkel einen Kanzlerbonus, das heißt, über ihn wird wesentlich häufiger berichtet als über die Vorsitzenden der Unionsparteien.

Die Tendenz der Berichterstattung ist überwiegend neutral, während wertende Aussagen in der Minderheit sind. Außerdem zeigen sich zwischen der berichteten Bewertung der Spitzenpolitiker in den Fernsehnachrichten und ihrer Beurteilung durch die Bevölkerung Parallelen. Bewertungsunterschiede im Zeitverlauf kommen unter anderem durch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in der Berichterstattung über die Politiker zustande.

Eine "Amerikanisierung" der Berichterstattung über die Spitzenpolitiker kann bisher nicht festgestellt werden: Bislang ähnelt die Berichterstattung über den Wahlkampf 2002 nicht der US-Berichterstattung über den amerikanischen Wahlkampf 2000. In Deutschland berichten vor allem ARD und ZDF häufiger über die Sachpositionen der Kandidaten. Seltener als in den US-Networks wird dagegen über Kandidatenauftritte berichtet. Die Wähler erwarten in erster Linie Informationen über Sachthemen einschließlich der Leadership-Qualitäten der Kandidaten.

MP 6/2002, S. 263-276



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