Heft 10

Marie-Luise Kiefer

Kirch-Insolvenz: Ende einer ökonomischen Vision?

Zu den medienökonomischen Ursachen und den medienpolitischen Konsequenzen

Leo Kirch hat in einem Abschiedsbrief an seine Mitarbeiter seine Vision beschrieben, "ein vertikal integriertes Medienunternehmen zu schaffen." Doch ist die vertikale Integration heute noch ein taugliches Konzept? Der vorliegende Beitrag zeichnet den Aufbau des Kirch-Konzerns zum integrierten Medienunternehmen nach, diskutiert die Ziele und Motive vertikaler Unternehmensintegration sowie aktuelle Entwicklungen in Richtung Desintegration aus medienökonomischer Sicht und zieht medienpolitische Schlussfolgerungen.

Bereits in den 50er Jahren erwies sich Leo Kirch als ein Musterbeispiel des "findigen" Unternehmers. Er entdeckte beim Filmrechtehandel Gewinnmöglichkeiten durch Preisdifferenzen zwischen Beschaffungs- und Absatzmärkten und kaufte Filmrechte im Ausland auf. In den 80er Jahren, mit dem Start des Privatfernsehens in Deutschland, erkannte Kirch das wachsende Verwertungspotenzial seiner Filmrechte und erwarb Beteiligungen an geplanten privaten Fernsehsendern und Pay-TV-Gesellschaften. In den 90er Jahren kamen Beteiligungen an TV-Sendern, Video- und Kinoauswertungsgesellschaften, die Sicherung von Sportrechten und internationale Beteiligungen hinzu. Liquiditätsprobleme und der Wechsel vom Alleineigentümer Kirch zu einer kleinen Eigentümergruppe machten eine radikale Umorganisation notwendig, sodass drei Teilbereiche mit der Kirch-Holding als Zentrale entstanden. Kirch wollte das digitale Pay-TV als einziger Anbieter in Deutschland um jeden Preis durchsetzen, woran er schließlich scheiterte.

Offensichtlich entspricht Integration auch in Großunternehmen des Mediensektors nicht mehr den heutigen Anforderungen, wird diese doch zunehmend durch Flexible Spezialisierung ersetzt, das heißt, Hierarchien werden wieder abgeflacht und die Produktionstiefe der Unternehmen zurückgenommen.

Die Kirch-Insolvenz bietet die seltene Chance für eine medienpolitische Neuorientierung, um die bisher durch die "Senderfamilien" Kirch und Bertelsmann gewährleistete Machtbalance im privaten Rundfunk wiederherzustellen. Das aus der Ökonomie bekannte Konzept der Countervailing Power, das heißt der (vertikalen) Gegenmacht gegen Marktmacht, könnte hier eine Lösung sein. Gegenmacht auf Seiten der Produzenten würde für starke Produzenten plädieren, die starken Sendern gegenüberstehen. Gegenmacht auf Ebene der Rezipienten ist schwer organisierbar, Modelle wie ein Medienrat und eine "Stiftung Medientest" liegen jedoch bereits vor. In Erweiterung des Konzepts der Countervailing Power könnte man zur Erhaltung der Medienvielfalt aber auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als ökonomische und publizistische Countervailing Power begreifen und dessen Auftrag mit Blick auf die gesellschaftlichen wie individuellen Informations-, Orientierungs-, Vermittlungs- und Unterhaltungsbedürfnisse entwickeln und flexibel an die Rahmenbedingungen anpassen.

MP 10/2002, S. 491-500



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