Rezeption von Geschichte im Fernsehen
Eine qualitative Studie zu Nutzungsmotiven, Zuschauererwartungen und zur Bewertung einzelner Darstellungsformen
Zeitgeschichte im Fernsehen "boomt". Trotz der intensiven öffentlichen Diskussion und des regen Publikumsinteresses an Geschichtssendungen gibt es bisher wenig wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, warum sich Zuschauer diesen Sendungen zuwenden. Die vorliegende qualitative Studie ermittelte anhand von Gruppendiskussionen mit Zuschauern von Geschichtssendungen Nutzungsmotive und behandelte die grundsätzliche Frage, weshalb das Thema Geschichte für die Zuschauer relevant ist.
Das Geschichtsinteresse lässt sich vor allem auf die Bedürfnisse nach Identität und Orientierung zurückführen. Geschichtliche Themen bieten die Möglichkeit, sich sowohl mit der eigenen (Familien-)Geschichte als auch mit der nationalen Identität auseinander zu setzen. Das Bedürfnis nach Orientierung erfüllt Geschichte, indem sie Hintergründe für aktuelle politische Auseinandersetzungen aufzeigt und so hilft, diese Ereignisse in einen weiteren Kontext einzuordnen. Durch die zunehmende Mobilität wächst dieses Bedürfnis und erstreckt sich auch auf die (gemeinsame) Geschichte mit anderen Kulturen und Nationen.
Bei der Themenselektion lassen sich auch die Zuschauer von Nachrichtenfaktoren leiten. Geschichtssendungen sind dann besonders interessant, wenn sie Bezüge zu aktuellen politischen Fragen haben oder an Gedenkereignisse anknüpfen (Thematisierung) und Anschlusskommunikation ermöglichen (Nähe). Außerdem fasziniert das Privatleben historischer Persönlichkeiten (Personalisierung).
Geschichtssendungen verknüpfen Unterhaltung mit Wissensvermittlung. Sie sind damit eine "sinnvolle" Beschäftigung und legitimieren so den Fernsehwunsch der Zuschauer. Zentrale Beurteilungskriterien für die Sendungen sind Glaubwürdigkeit und Authentizität. Beide Eigenschaften schreiben die befragten Zuschauer ausschließlich den öffentlich-rechtlichen Sendern zu. Neben "Mainstream-History" wird hier ein Angebot erwartet, das auch Spezialinteressen aufgreift.
MP 2/2006, S. 102-106
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