Heft 5

Rolf Amann/Dirk Martens

Synthetische Welten: Ein neues Phänomen im Web 2.0

Ergebnisse einer explorativen Grundlagenstudie am Beispiel von "Second Life"

Durch extensive Berichterstattung in vielen Medien entwickelte sich in der ersten Hälfte des Jahres 2007 ein regelrechter Hype um so genannte Online-3D-Welten wie etwa Second Life. Innerhalb weniger Monate wuchs die Zahl der registrierten Nutzer von Second Life dramatisch an. Negative Berichte in den Medien sorgten allerdings nach kurzer Zeit wieder für einige Ernüchterung, unter anderem weil bekannt wurde, dass nur etwa 5 Prozent der Registrierten auch tatsächlich aktive Teilnehmer bei Second Life sind. Das bedeutet, im Mai 2008 waren weltweit durchschnittlich rund 60 000 Nutzer (bei über 13 Millionen Registrierten) zum selben Zeitpunkt bei Second Life aktiv. Die Nutzerschaft von Second Life ist damit eine bisher sehr überschaubare, aber teilweise sehr intensiv und mit großem Zeitaufwand in der virtuellen Welt aktive Minderheit.

Gegenüber herkömmlichen PC- oder Konsolenspielen besitzen Online-3D-Welten spezifische Reize: Die Nutzer können virtuelle Gegenstände, Landschaften, Gebäude, Kleidungsstücke mittels eines "3D-Tools" erzeugen. Es gibt kein ausdifferenziertes Spielszenario, sondern die Nutzer gestalten ihre virtuellen Personifikationen, die Avatare, die synthetische Welt eigenständig aus, organisieren sich in Gruppen und Gemeinschaften und entwickeln eigene Regelwerke. Es existiert ein vollständiger Wirtschaftskreislauf, Wechselstuben tauschen virtuelles Geld in reale Währungen um und umgekehrt.

Insgesamt weist die Stichprobe der vorliegenden Untersuchung ein Durchschnittsalter von 36 Jahren auf (ab 50-Jährige stellen dabei einen Anteil von immerhin 10 Prozent); auch Bildungsniveau und Einkommen liegen deutlich über dem Bevölkerungsdurchschnitt. Die Nutzungsfrequenz ist hoch, die durchschnittliche Dauer der Besuche beträgt bei den Befragten 3,7 Stunden an Werktagen und 5,1 Stunden am Wochenende. Wöchentliche Nutzungsdauern von über 30 Stunden sind keine Seltenheit. Das Zeitbudget für die Nutzung anderer Medien und auch für weitere Freizeitaktivitäten wird dadurch verändert, Teilnehmer von Second Life sehen unter anderem weniger fern als vorher.

Ein wichtiger Teil der Motivation der Teilnehmer ergibt sich daraus, virtuelle Kontakte in das reale Leben der Nutzer zu übertragen oder umgekehrt reale Kontakte im virtuellen Raum zu pflegen. Weitere Anreize sind die Möglichkeit, alternative Verhaltensmodelle auszuprobieren oder auch Geschäftsmodelle zu testen. Letzteres ist mit ein Grund, warum inzwischen auch Unternehmen und viele Freiberufler in Second Life aktiv sind.

MP 5/2008, S. 255-270



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