Unterhaltung als wertvolle Erfahrung
Lange Zeit wurde die Unterhaltungsforschung eher vernachlässigt. Seit etwa zehn Jahren mehren sich jedoch die Studien, in denen aus kommunikationswissenschaftlicher und medienpsychologischer Perspektive Fragen nach den Wirkungen der Unterhaltungsrezeption auf Meinungen, Einstellungen und Verhalten untersucht werden. Dabei wurde in der Regel angenommen, die Nutzung von Unterhaltungsangeboten sei hedonistisch motiviert. In jüngster Zeit legt eine Reihe von Studien jedoch den Fokus auf die Frage, welche Funktion(en) die Unterhaltungsrezeption jenseits der hedonistischen Bedürfnisbefriedigung hat. Verschiedene Studien zeigen, dass Menschen neben dem Bedürfnis nach Spaß, Spannung und Anregung (=hedonistische Motive) auch nach bedeutsamen Erfahrungen, der Auseinandersetzung mit grundlegenden menschlichen Themen und nach Entwicklung des Selbst (=eudämonische Motive) in Unterhaltungsangeboten suchen. Dafür sind sie bereit, gewisse Anstrengungen in Kauf zu nehmen, wie zum Beispiel das Aushalten negativer Emotionen. Die emotionale Komponente, gekennzeichnet durch starke und tiefe, zum Teil widersprüchliche Gefühle, ist offenbar sogar die entscheidende Bedingung dafür, dass Unterhaltung als wichtig und bedeutsam erlebt wird und die Rezipienten zu Einsichten und Erkenntnissen führt. Die Gratifikation an dieser Art von anspruchsvoller Unterhaltung entsteht vor allem dann, wenn realistische und glaubwürdige Geschichten erzählt werden. Dazu können auch differenziert gezeichnete, widersprüchliche Charaktere beitragen, die von der üblichen „Gut -- Böse“-Dichotomie abweichen. Die Bewertung von Unterhaltungsangeboten wird darüber hinaus von sozial geteilten Informationen, wie der Meinung relevanter Anderer (z.B. Gleichaltriger), geprägt.
Die Frage, ob ein eudämonisch geprägtes Unterhaltungserleben entsteht, hängt also unter anderem davon ab, inwieweit zentrale (menschliche) Werte angesprochen werden, zu denen sich der Rezipient in Beziehung setzen kann. Gelingt dies, können anspruchsvolle Geschichten durchaus politisch sein, indem sie auf entsprechende Meinungen und Einstellungen wirken und im besten Fall zu Konsequenzen für den eigenen Alltag motivieren.
MP 5/2013, S. 300-306
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