Heft 4

Winfried Schulz

Folgen "neuer Medien" für demokratische Prozesse

Eine kritische Betrachtung empirischer Forschungsergebnisse

Im Zusammenhang mit der wachsenden Bedeutung digitaler Medien ist aus Sicht der Demokratietheorie und auch der praktischen Politik sicher die interessanteste und wichtigste Frage, ob sich hieraus Gewinne oder Verluste für die Demokratie ergeben. Bereits in früheren Zeiten wurden neue Entwicklungen in der Medienlandschaft oft kritisch bewertet, beispielsweise bei der Entstehung der Sensationspresse oder in Bezug auf die Rolle des Fernsehens („Schweigespirale“). Anders dagegen beim Aufkommen digitaler Medien: Hier war der vorherrschende Tenor der Debatte zunächst eher optimistisch. Mit Hilfe neuer Medien würde, so die Erwartung, das Informationsmonopol herkömmlicher Medien gebrochen, virtuelle Gemeinschaften ermöglichten herrschaftsfreie Diskurse und grenzüberschreitende Öffentlichkeiten, die Bürger würden politisch ermächtigt.

Eine Reihe bedenklicher Entwicklungen (u.a. Kommerzialisierung und vielfältiger Missbrauch des Netzes) führten zu einem veränderten Tenor der öffentlichen Debatte und einem Perspektivenwechsel in der Forschung. Tatsächlich sind die Forschungsergebnisse eher zwiespältig. Forschungsüberblicke und internationale Vergleichszeitstudien zeigen zwar positive Aspekte, unter anderem was die Gleichheit und Reziprozität politischer Diskurse der Internetnutzer betrifft. Die Forderung nach einer breiten Inklusion der Bürger wird wegen der nach wie vor bestehenden digitalen Klüfte jedoch nicht eingelöst. Wenig wirksam sind Internetaktivitäten auch bei der Beeinflussung der politischen Agenda, Untersuchungen zu verschiedenen Wahlen in Deutschland ergaben beispielsweise nur eine begrenzte Rolle für die digitalen Medien.

Der Stand der Forschung erscheint zunehmend komplex und mitunter widersprüchlich, wie bereits früher bei Überblicken über die Wirkung der herkömmlichen Medien. Es sind demokratierelevante Veränderungen durch digitale Medien zu beobachten, aber neben manchen, die das Etikett „revolutionär“ rechtfertigen, gibt es genauso auch Prozesse der Normalisierung sowie viele Nulleffekte. Es kommt wie immer bei Medieneffekten auf die Kontexte und Bedingungen an, auf moderierende und interagierende Faktoren.

MP 4/2015, S. 210-214



Zurück zur Übersicht