Paradigmenwechsel im Jugendmedienschutz?
Anmerkungen zur Neuregelung der Jugendschutzbestimmungen im 4. Rundfunkänderungsstaatsvertrag
Im 4. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, der seit April 2000 in Kraft ist, wurden unter anderem die Jugendschutzbestimmungen neu geregelt. Dabei ging es im Wesentlichen um die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für unverschlüsselt ausgestrahlte jugendgefährdende Sendungen, um eine Neuregelung zu indizierten Filmen, um Sendezeitbeschränkungen für ganze Sendeformate und um - zunächst probeweise geltende - Sonderregelungen für das private digitale Fernsehen. Während die ersten drei Änderungen allenfalls eine formale Verschärfung des Jugendschutzes darstellen, aber wenig Einfluss auf die derzeitige Praxis haben werden, bedeuten die Sonderregelungen für das digitale Fernsehen trotz "Probezeit" einen grundlegenden Systemwechsel im Jugendmedienschutz.
Im digitalen Privatfernsehen kann jetzt bei einer senderseitigen technischen Vorsperre der einzelnen jugendschutzrelevanten Sendungen auf Sendezeitbeschränkungen verzichtet werden. Der Gesetzgeber hält also technische Vorkehrungen für den Jugendschutz im Digital-TV prinzipiell für ausreichend. Die Medienpolitik zieht sich damit vom regulativen Eingriff durch Beschränkung der Ausstrahlungszeiten bei den Sendern zurück und setzt verstärkt auf die Jugendschutzverantwortung der Eltern. Die kommerziellen Anbieter wiederum können ihrer Programmverantwortung mit einer technischen Maßnahme nachkommen.
Die Landesmedienanstalten schreiben für digitales Fernsehen zwar noch Zeitgrenzen vor. Doch wurden diese so deutlich gelockert, dass sie in der Praxis wirkungslos sind, weil sie in die Hauptfernsehnutzungszeit von Kindern fallen. Jugendschutz im digitalen Fernsehen beruht damit ausschließlich auf der senderseitigen Vorsperre. Diese setzt jedoch ebenso wie die für unzureichend befundenen "Vorläufer"-Modelle nutzerseitiger Sperrsysteme die aktive Mitarbeit der Eltern voraus. An diesem aktiven Interesse mangelt es nachweislich jedoch gerade in den Familien, in denen Kinder und Jugendliche aus Jugendschutzsicht am meisten gefährdet sind. Dass sich die Politik dennoch ihrer Aufgabe entzieht, diese Risikogruppen zuverlässig zu schützen, und die Hauptverantwortung den Eltern zuschiebt, weist nach Ansicht der Autorin darauf hin, dass die jetzt vorgesehenen Jugendschutzliberalisierungen den Pay-TV-Anbietern bessere Marktchancen eröffnen sollen. Dementsprechend sei mit der Rückholbarkeit dieser Deregulierungen auch dann nicht zu rechnen, wenn sich die senderseitige Vorsperre als wirkungslos erweist.
MP 5/2000, S. 213-224
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