Buchkritik: Gesundheits-Check für Marken

Dirk Engel liest: „Better Brand Health“ von Jenni Romaniuk

Byron Sharp, der australische Marketing-Professor, hat in Teilen der deutschen Werbebranche Guru-Status. Sein Buch „How Brands Grow“ wird oft zitiert, er gilt als Kronzeuge für eine auf Massenansprache ausgerichtete Mediastrategie und einen skeptischen Blick auf Targeting und digitale Medien. Seine Institution und deren Forscher, das Ehrenberg-Bass-Institut, vertritt eine wissenschaftlich fundierte Marketing-Lehre: „Evidence-based Marketing“ ist das verwendete Label, also auf Beweisen basierendes Marketing. Wie es sich für die Wissenschaft gehört, gibt es auch Gegenwind und Kritik. Einige Marketing-Wissenschaftler halt die Sichtweise des Sharp-Kreises für zu statisch, passend zwar für große Marken in stabilen Systemen, aber weniger geeignet, um auf das heutige dynamische Marktumfeld mit Disruption und schnellen Produktentwicklungen zu reagieren. Doch das ficht weder die Australier noch deren deutsche Anhänger an. Denn vieles, was sie in ihren Büchern und Vorträgen postulieren, korrespondiert nicht nur mit klassischen Marketing-Tugenden und dem gesunden Menschenverstand, sondern auch mit harten Forschungsergebnissen. Konzepte wie „Distinctive Brand Assets“ oder „Mentale Verfügbarkeit“ wurden auch bereits in deutschen Studien erforscht und deren Wirksamkeit nachgewiesen.. 

Jenni Romaniuk ist ebenfalls Professorin und Forscherin am Ehrenberg-Bass-Institut und hat jetzt mit „Better Brand Health“ ein neues Buch zu dem Kanon des „evidence-based Marketing“ hinzugefügt. Wer gesund bleiben will, sollte öfters zur Vorsorgeuntersuchung gehen. Das gilt ebenso für die Gesundheit von Marken, deshalb ist Romaniuks Buch ein Überblick darüber, auf was man achten sollte und – noch wichtiger – wie man die richtigen Indikatoren misst. Zwar werden einige Grundideen der australischen Byron-Sharp-Schule kurz erklärt, doch liegt der Schwerpunkt nicht auf Ergebnissen, sondern auf Methoden. Was oft im Marketing-Alltag wenig hinterfragt wird, nämlich die Art und Weise, wie relevante Marken-KPIs erhoben werden, das steht hier im Mittelpunkt. Dabei werden die Vor- und Nachteile der gängigen Wege, Indikatoren wie Markenbekanntheit oder Kaufabsicht zu messen, kritisch diskutiert. Für manche gilt immer noch die aktive Markenbekanntheit, also das ungestützte Erinnern eines Markennamens, als härteste Währung, Romaniuk zählt hingegen die Nachteile auf. Von der ungestützten Abfrage profitiert meist nur der Marktführer, der die Top-of-Mind-Position innehält, aber sie spiegelt nicht das wirkliche Marktgeschehen wider. In dem Buch findet man Alternativen, etwa die Messung der mentalen Verfügbarkeit oder die Zuordnung von Markeneigenschaften durch Auswahl, anstatt die üblichen Zustimmungs-Skalen zu verwende. Zentral ist dabei die „Category Buying Behaviour“, also das Kaufverhalten in der jeweiligen Warengruppe. Es wird beschrieben, wie „Category Entry Points“ identifiziert werden – die Anlässe, warum Konsumenten in den Kaufprozess eintreten. Wenn eine Marke mit möglichst vielen dieser Eintrittspunkte assoziiert wird, hat sie gute Chancen zu wachsen und ihre Wettbewerber zu übertrumpfen.

„Better Brand Health“ ist kein Methoden-Lehrbuch, dazu ist der Blickwinkel zu eingeschränkt auf die „How-Brands-Grow“-Welt – so bezeichnet die Autorin selbst ihren Ansatz im Untertitel des Buches. Einen wirklich umfassenden Überblick über verschiedene Verfahren oder Umfragemethoden gibt es nicht; die Diskussion ist immer darauf ausgerichtet, die eigenen Frageformulierungen als ideale Lösung herauszustellen. Doch erlaubt uns das Werk einen Blick unter die Motorhaube des Ehrenberg-Bass-Instituts, der erhellend und lehrreich ist. Viele der Anregungen sollten dazu dienen, die eigenen Standardabfragen, die leider nur selten reflektiert werden, einmal auf Herz und Nieren zu prüfen. Diese Aufgabe sollte nicht nur Marktforschern überlassen werden; jeder Marketing- und Media-Entscheider hat die Pflicht, über die Gesundheit seiner Marken nachzudenken, und dazu gehört auch der Check-Up beim Arzt. Das Buch ist in englischer Sprache – trotz der Popularität von Byron Sharp und seinem Forscherkreis liegen deren Werke bisher leider nicht in deutscher Sprache vor.

Dirk Engel