Buchkritik: Der Mensch bestimmt selbst, was die Digitalisierung mit ihm macht

Dirk Engel liest: „Die Zukunft ist menschlich: Manifest für einen intelligenten Umgang mit dem digitalen Wandel in unserer Gesellschaft" von Andera Gadeib

Andera Gadeib ist eine Pionierin der digitalen Marktforschung. Mit dem von ihr gegründeten Institut Dialego hat sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten für viele Medien innovative Studien konzipiert und durchgeführt. Sie hat den Wandel in der Marktforschung, der durch das Internet angestoßen wurde, aktiv mitgestaltet. Deshalb wirkt der Titel ihres Buches „Die Zukunft ist menschlich“ auf den ersten Blick ein bisschen widersprüchlich. Schwört die Marktforscherin den digitalen Methoden ab? Will sie sich der Digitalisierung entgegensetzen? Natürlich nicht, aber ein bisschen vielleicht doch: Der Untertitel „Manifest für einen intelligenten Umfang mit dem digitalen Wandel in unserer Gesellschaft“ lässt ahnen, dass es ihr um das große Panorama geht. Es ist kein Buch über Marktforschung, es geht vielmehr darum, wie sich jeder von uns für die immer digitaler werdende Welt rüsten kann. Sie identifiziert ein „digitales Dilemma“: K.I., Big Data, eine vernetzte Welt – die ganzen Facetten der Digitalisierung können sowohl zum Wohle des Menschen eingesetzt werden wie auch gegen sie verwendet werden. Hier plädiert die Autorin für eine optimistische Geisteshaltung: Die Technik muss dem Menschen nützen, und ob das geschieht, ist unsere Entscheidung.

Natürlich liefert Gadeib Erkenntnisse aus ihrer qualitativen Marktforschungspraxis, etwa zu der Frage, wie Menschen über die Digitalisierung denken. Trotzdem ist das Buch kein Studienreport; es ist aber auch nicht das im Untertitel versprochene Manifest, sondern vielmehr eine Mischung aus Bestandsaufnahme, Vision, Management-Ratgeber und Motivations-Traktat. Ihre erklärte Absicht ist es, dem eher dystopischen Zungenschlag, wenn über Digitalisierung gesprochen wird, einen positiven Ton entgegenzusetzen. Der Mensch soll als Gestalter des Technologie-Wandels in den Mittelpunkt rücken. Denn es ist in unserer Hand, wie wir Technik in unser Leben integrieren. Ihre Appelle richtet sie nicht (wie es andere deutsche Autoren gerne machen) an eine abstrakte Gesellschaft oder „die“ Politik, sondern an den Einzelnen. Jeder von uns sollte sich individuell engagieren, um den Risiken der Digitalisierung zu begegnen. So vermischt sie Gesellschaftsdiagnose mit persönlicher Lebenshilfe. Das ist inspirierend, angenehm zu lesen und lädt zur Reflexion über das eigene Tun ein. Die in dem Buch angesprochenen Punkte sind alle prinzipiell einleuchtend. Wer würde widersprechen, dass wir darauf achten sollten, dass die Welt für unsere Enkelkinder lebenswert bleibt? Die Kernidee, dass der Mensch nicht zum Objekt der Technik werden darf, sondern aktiv Entscheidungen treffen muss, erscheint wenig originell, aber zweifellos richtig. Andera Gadeib stellt diese Gedanken mit etwas Pathos, aber sehr sympathisch und kompetent in den großen Zusammenhang der technologischen Entwicklung. Leider packt sie dabei zu viel in ihr Buch hinein und überfrachtet es dadurch ein bisschen. Eine Konzentration auf wenige Kernthesen, die aber mit Anekdoten, Beispielen und Tipps ausgebreitet werden (wie man es von amerikanischen Sachbuchautoren kennt), wäre vielleicht für ihre Sache besser gewesen als der ganz große thematische Rundumschlag. „Die Zukunft ist menschlich“ ist trotzdem ein Mutmacher, den wir angesichts der vielen düsteren Gedanken darüber, dass wir irgendwann von Robotern ersetzt werden, gut gebrauchen können.

Dirk Engel