Buchkritik: K.I. mit Intelligenz erklärt

Dirk Engel liest: "Künstliche Intelligenz: Was sie kann & was uns erwartet" von Manuela Lenzen

In den vergangenen 15 Monate hat ein Thema die öffentliche Debatte dominiert: Künstliche Intelligenz. Auslöser war die Veröffentlichung von ChatGPT. Plötzlich wurde ein Spezialisten-Thema zum alltäglichen Gesprächsstoff. Dementsprechend gab es eine Vielzahl von Konferenzen, Keynotes und Talks, Artikeln, Podcasts und Posts, Pressemeldungen, Interviews und dergleichen mehr. Vieles davon kratzte nur an der Oberfläche. Wer sich etwas umfassender über das Feld informieren möchte, kann zu einem Sachbuch greifen. Doch Vorsicht: Bei der derzeitigen dynamischen Entwicklung sind eigentlich schon alle Werke in dem Moment veraltet, wenn sie im Buchhandel ankommen. Und dann besteht noch die Gefahr, auf schludrig heruntergeschriebene Fake-Ratgeber hereinzufallen, die durch geschickte Manipulation in den Amazon-Suchergebnissen ganz oben erscheinen – Pseudo-Bücher, die zwar das Thema Künstliche Intelligenz im Titel führen, wahrscheinlich auch mit Hilfe von ChatGPT geschrieben wurden, aber denen selbst jedwede Intelligenz fehlt.

Zum Glück gibt es aber ein Buch, das jenseits aller Aktualitäten eine fundierte und lesenswerte Annäherung an das Thema liefert: „Künstliche Intelligenz – Was sie kann & was uns erwartet“ erschien schon vor einigen Jahren, wurde aber jetzt nochmal aktualisiert. Die Autorin Manuela Lenzen ist eine erfahrene Wissenschaftsjournalistin. Sie geht das Thema grundsätzlich an: Um Künstliche Intelligenz zu verstehen, muss man erst einmal darüber nachdenken, was Intelligenz eigentlich ist. Lenzen beschreibt die Forschungen der Neurowissenschaftler und Psychologen, genauso wie sie aus den Entwicklungslaboren von Technologie-Konzernen berichtet. Sie zeigt die unterschiedlichen Herangehensweisen der Entwickler, diskutiert, wie Maschinen „denken“ können und welche anderen Bereiche mit K.I. zusammenhängen: Robotik, das „Internet der Dinge“, Smart Cities und die „Algorithmisierung der sozialen Welt“. K.I. ist schon heute überall im Einsatz, nicht nur in der Industrie oder beim Militär. Doch oft wird K.I.-Tools auch eine Allmacht zugeschrieben, die sie bis jetzt noch nicht haben. Die Autorin bringt hier ihre Leser auf den Boden der Tatsachen zurück, indem sie den tatsächlichen Ist-Zustand lakonisch beschreibt. Zum Beispiel zum Thema personalisierte Werbung: „Im Internet zeigt sich die Werbung geradezu penetrant dumm.“

Lenzen diskutiert die möglichen Auswirkungen der K.I.-Entwicklung auf unsere Arbeitswelt und unser Zusammenleben und formuliert dabei die kritischen Punkte. Aber sie verfällt dabei nicht in die Katastrophen-Rhetorik und den Alarmismus vieler anderer populärer K.I-Erklärer. Sie propagiert keine Lösungen und missioniert nicht, doch die blinde Euphorie der Tech-Propheten ist ihr ebenfalls fremd. Sie informiert, stellt Zusammenhänge her, rückt vieles gerade, was in der öffentlichen Diskussion oft schief dargestellt wird. Alles in allem liefert sie ein kluges Buch, das versucht, die Leser auf ein höheres Niveau des Verstehens zu heben – sie eben intelligenter zu machen. Und Intelligenz ist das, was wir selbst am dringendsten brauchen, um mit den Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz umgehen zu können.

Dirk Engel